Donnerstag, 23. August 2012

Weltfremder Wagner


Ψ Die BILD wartet heute mit dem nächsten "Homo-Ehe-Knaller" auf - man könnte meinen, dies sei das derzeit bevorzugte Thema, um das journalistische Sommerloch zu stopfen. In seiner heutigen Kolumne spricht sich der umstrittene Boulevard-Journalist Franz Josef Wagner sich unterschwellig dafür aus, dass Homosexuelle verurteilt und ins Gefängnis gesteckt werden sollten (HIER). Dabei bemüht Herr Wagner das übliche "Ihr vermehrt Euch ja nicht"-Argument.

Ψ Ich habe eben eine E-Mail an Herrn Wagner (und eine Kopie an die Leserbrief-Redaktion) gesandt:
Sehr geehrter Herr Wagner,

mit Besorgnis musste ich Ihre heutige Kolumne ("Liebe Homo-Ehe") in der BILD-Onlineausgabe zu Kenntnis nehmen. Ich möchte Ihnen hierzu wie folgt Rückmeldung geben:

1)
Ihr Halbsatz "Homo-Ehe vs. Mann-&-Frau-Ehe" könnte so gedeutet werden, dass homosexuelle Menschen gegen die bisher gültige Eheform eingestellt sind. Aus meinem langjährigen Gemeindedienst unter queeren Menschen kann ich Ihnen versichern: Dem ist nicht so.
Die Zielsetzung queere Menschen ist es nicht, bestehende Regelung anzugreifen - vielmehr geht es darum, eine rechtliche Gleichstellung zu erreichen.
Ich finde es nicht hilfreich, solche unterschwelligen (und zudem nicht zutreffenden) Botschaften in Ihrer Kolumne zu vermitteln.

2)
Ihr Satz "Homosexuelle kriegen biologisch keine Kinder" ist schlicht und ergreifend falsch.
Homosexuelle entscheiden sich seit Jahren (und dies in zunehmendem Maße) für biologische Kinder.
Ja, dabei kommt es üblicherweise zu so genannter "Insemination", also der Übertragung männlichen Samens in den Genitaltrakt einer Frau. Und ja, diese Kinder werden ganz normal ausgetragen und geboren. Insemination ist auch unter heterosexuellen Paaren nicht unüblich, beispielsweise bei eingeschränkter Beweglichkeit oder Anzahl der männlichen Samenzellen; so wird durch Insemination der Weg zur Eizelle verkürzt. Weitere Informationen hierzu finden Sie unter http://www.insemination.de und http://de.wikipedia.org/wiki/Insemination
Das Gesetz unterscheidet Kinder, die durch Insemination gezeugt wurden, nicht von Kindern, die durch Geschlechtsverkehr gezeugt wurden. Sie alle gelten als biologische Kinder.
Das patriarchisch-traditionalistische Argument der fortpflanzungstechnischen Sinnlosigkeit homosexueller Beziehungen ist überholt.

3)
In den darauf folgenden Abschnitten sagen Sie deutlich aus, Homosexuelle sollten der Gesellschaft dankbar sein, für Ihr bloßes Dasein nicht mehr verurteilt und in Gefängnisse gesteckt zu werden; daher sollten Homosexuelle sich mit den bislang erreichten Rechten zufrieden geben.
Diese (mit Verlaub) Stammtischparole vermittelt Ihren Lesern, dass es vollkommen in Ordnung wäre, Homosexuelle zu verurteilen und zu inhaftieren. Die heutige Situation sei ein gnädiges Geschenk, eigentlich gehörten Homosexuelle "weg".
Ich hoffe sehr, dass Sie diese Formulierungen versehentlich gewählt haben, denn würden Sie wirklich das denken und fühlen, was Sie in Ihren Zeilen ausgesagt haben, dann wäre dies zum Einen diskriminierend und zum Anderen würde Sie daraus folgende Diskriminierung queerer Menschen duch Ihre Leser billigen.
Ich möchte Sie bitten, Ihren Kolumnentext zu überdenken und sich von diesen Passagen öffentlich zu distanzieren. Gerade in der aktuellen - von den ausgrenzenden Aussagen von Frau Katherina Reiche geprägten - Situation könnten sich viele Menschen (nicht nur Homosexuelle, sondern auch Menschen, die Homosexuellen nahestehen und für deren rechtliche Gleichstellung eintreten) verletzt und diskriminiert fühlen.

4)
Ich möchte Sie gerne zu einem öffentlichen Gespräch zum Thema »Rechtliche Gleichstellung von Homosexuellen« einladen. Lassen Sie uns über dieses Thema reden und herausfinden, wo wir gemeinsame und voneinander abweichende Ansichten besitzen.

Für Rückfragen stehe ich Ihnen jederzeit gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen


Schwester Aura

Ψ Ich finde die aktuellen, von AndersAngst und "Homophobie" geprägten Äußerungen langsam aber sicher bedenklich. Vielleicht sollten wir "Homos" einfach mal zwei, drei Montage hintereinander auf die Straße gehen, um gegen diese Form der öffentlichen Diskreditierung und Diskriminierung zu demonstrieren. Denn: Langsam langt's!

Mittwoch, 22. August 2012

Kontroverse um Katherina


Ψ Katherina Reiche ist CDU-Politikerin, Staatssekretärin im Umweltministerium und Mitgliedin im Bundestag ... und sie hat in der BILD-Zeitung einige sehr kontroverse Äußerungen von sich gegeben, die vielen Menschen aus gutem Grund so gar nicht in das eigene Bild einer vielfältigen und toleranten Gesellschaft passt. Die »CDU-Reiche« (so bezeichnet sie die BILD!) drückte sich klar aus:
Unsere Zukunft liegt in der Hand der Familien, nicht in gleichhttp://www.blogger.com/img/blank.gifgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften. Neben der Euro-Krise ist die demografische Entwicklung die größte Bedrohung unseres Wohlstands.

(HIER der ganze BILD-Online-Artikel)

Ψ Und wie das so ist - die Reaktion kam prompt: Queere Menschen aus allen Teilen des Landes protestierten auf Katherina Reiches Facebook-Seite, die daraufhin sogleich zum Netz genommen wurde. Inzwischen gibt es Seiten wie »Keine Zukunft mit Katherina Reiche« (Wo ein offener Brief erschien) und »Rücktritt von Katherina Reiche« (wo mit einer Online-Petition der Rücktritt der Politikerin gefordert wird). Das Newsportal queer.de berichtet in zwei Artikeln über die Aussagen von Frau Reiche (HIER) und ihre Äußerungen zu dem von ihr ausgelösten »Shitstorm (HIER). Auch die Süddeutsche Zeitung greift online die Thematik auf und berichtet zudem über einen Vorschlag von Frau Leutheusser-Schnarrenberger (HIER), während sich nach und nach ihre CDU-KollegInnen von Frau Reiches Äußerungen distanzieren.

Ψ Auch ich habe mich heute geäußert, in einer E-Mail an Frau Reiche:
Sehr geehrte Frau Reiche,

ich schreibe diese Zeilen mit gemischten Gefühlen.

Als queere LGBTI Aktivistin empfinde ich Ihre jüngeren Ausführungen, die Gleichbehandlung homosexueller Menschen stelle eine Gefahr für die Struktur unserer Gesellschaft dar, als ausgrenzend und intolerant, als diskriminierend und abschätzig, ja sogar als offensiv.

Als Mitglied einer weltweiten Bewegung, die spirituelle Wurzeln besitzt und sich seit über 30 Jahren für Werte wie Vergebung und Verständnis einsetzt, kann und will ich mich jedoch nicht einfach nur in eine einfache »Ich bin gegen Katherina Reiche«-Position begeben. Vielmehr folgt aus meinem diesbezüglichen Bewusstsein das Bedürfnis, Ihnen hilfreich zur Seite stehen zu wollen.

Ihre Aussagen sorgen für Leid, Verwirrung, Verärgerung und auch Angst. Queere Menschen wurden - nicht zuletzt im Dritten Reich und in den Jahrzehnten danach - aufgrund ihrer Lebensweise und Gefühle, die von "normalen" (auf intrumentell-patriarchischen Denkstrukturen basierenden) Definitionen abweichen, verfolgt. Mit Ihren Äußerungen untergraben Sie das Gefühl der Sicherheit queerer Menschen innerhalb der bundesdeutschen Gesellschaft, Sie verursachen Angst vor Benachteiligung und Sie erinnern zu Unrecht verfolgte und bestrafte Menschen an erlittenes Leid. Das ist für ein gedeihliches Miteinander in einer Gesellschaft nicht hilfreich.

Die Reaktionen auf Ihre Aussagen sind klar und eindeutig: Bereits jetzt ist klar erkennbar, dass die Kritik nicht an ihrem Verhalten (ihren Äußerungen) halt macht, sondern (wie das in politischen Strukturen durchaus üblich ist) sich auch auf ihre Person erstreckt. Sie werden inzwischen als Person abgelehnt, weil Sie unvorteilhafte, ausgrenzende und leidverursachende Aussagen getroffen haben.

Ich möchte Ihnen daher folgenden (wirklich gut gemeinten und für alle Beteiligten vorteilhaften) Rat geben: Bitte distanzieren Sie sich von Ihren Aussagen. Damit beruhigen Sie die Gemüter derjenigen, die sich angegriffen und verletzt fühlen. Damit reduzieren Sie den Verlust Ihres Ansehens. Damit beugen Sie nachteiligen Auswirkungen Ihrer Äußerungen auf das Ansehen Ihrer gesamten Partei vor. Letztlich aber kommen Sie mit sich selbst ins Reine, denn unter christlich-religiösen Gesichtspunkten entspricht Ihr Handeln nicht im Mindesten dem Geiste und der Aussage des Neuen Testaments, in dem zum Beispiel Jesus sich nicht nur für die Gleichbehandlung von Menschen außerhalb der Gesellschaftsnorm eingesetzt hat, sondern diese mitunter sogar bevorzugt behandelt hat, um seine Umgebung zum Umdenken zu bewegen.

Ich hoffe sehr, dass Sie diesen Schritt gehen, der kein »Zu Kreuze Kriechen« ist, sondern ein hilfreicher und für alle vorteilhafter Schritt in die richtige Richtung ist - hin zu einem harmonischen Miteinander ohne Benachteiligungen.

Bei weiteren Fragen stehe ich Ihnen jederzeit gerne zur Verfügung.

Ihre

Schwester Aura

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Schwester Aura Scortea Beneficia,

Vollordinierte Schwester der Perpetuellen Indulgenz zu Berlin,
Transapostolische Schwester der Abtei zum Westfälischen Frieden in Berlin,
Gründerin der Kongregation der Perpetuellen Indulgenz zu Berlin,
Mitglied in der weltweiten Schwesternschaft der Perpetuellen Indulgenz,
geweiht der Verkündung universeller Freude und der Tilgung verinnerlichter Schuldgefühle,
aktiv im Gemeindedienst und öffentlich manifestierend in der Queeren Gemeinde.

E-Mail: schwester_aura@yahoo.de
Blog: http://schwester-aura.blogspot.com
Facebook-Profil: Aura Scortea Beneficia
Facebook-Gruppe: https://www.facebook.com/groups/326396467403735
Gayromeo: "Schwester_Aura"


Ψ Die E-Mail kam postwendend zurück, der Account wurde scheinbar abgeschaltet. Offenbar möchte Frau Reiche keine Rückmeldungen von BürgerInnen haben, was ich bedauerlich finde: Erst eine kontroverse Position vertreten und sich dann nicht mehr erreichbar machen!?! Schade eigentlich.

Ψ Um mal Klartext zu schreiben: Da stellt sich eine Politikerin hin und sagt: "Homos sind ne Gefahr für die Gesellschaft" - und mault dann, wenn eben diese Homos aufstehen und massiv dagegen protestieren? Wir leben immer noch in einer Gesellschaft der Meinungsfreiheit, Frau Reiche! Und wenn Sie uns erst ans Bein pinkeln und dann die Empörung darüber nicht aushalten, dann sollten Sie überdenken, ob Sie richtig in Ihrem Job sind. Denn: Politik soll FÜR Menschen erfolgen, nicht GEGEN Menschen!

[Bild-Quelle: Wikimedia Commons, Urheber Frank Bergmann]